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VIII Stefan Stößel
25.01. – 02.02.02

Oszillograph im Wackelpudding
Demoskopen, Seismographen, Barometer und allerlei andere Registratoren harter Fakten haben inzwischen fast keine Regung auf diesem Planeten unregistriert gelassen. Herauskommen soll mehr oder weniger DIE-WAHRHEIT-UEBER, das SO-IST-ES.
Denn „die Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit setzt die Kenntnis der aktuellen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen und Tendenzen voraus. Nur in Kenntnis der objektiven Daten ist eine fundierte Meinungsbildung zu den Herausforderungen möglich, denen unser Gemeinwesen zum Beginn dieses Jahrhunderts gegenübersteht “ (Statist. Bundesamt / Datenreport).
Nebenher ergibt sich aber noch ein ganz anderer Effekt von Wahrheit und Lüge, nämlich im außermoralischen Sinne,(Nietzsche): „Zwischen Subjekt und Objekt gibt es keine Kausalität, keine Richtigkeit, keinen Ausdruck, sondern höchstens ein ästhetisches Verhalten“.
Diese ästhetische Erscheinung erhält dann meist in der Tagespresse so amüsante Titel wie z.B.„Zu Hause bleiben gegen rechts“ oder „Ostrentner holen auf“ .
Die Auswahl der in der Galerie CAPRI gezeigten Arbeiten von Stefan Stößel ist Teil seiner Werkgruppe der „Statistiken“. In Diesen greift Stößel vor allem die ästhetischen , oft aber auch unfreiwillig komisch wirkenden Aspekte der grafischen Darstellung von Welt auf und nimmt sie zum Gegenstand seiner Arbeiten; quasi pittoresker Studien der Informationslandschaft – Anstieg, schöne Aussicht und Talfahrt auf den Silhouetten von Nemax, Nasdaq und Nikkei.

 

Stefan Stößel, Statistiken

Die Statistiken von Stefan Stößel kreisen um ein allgegenwärtiges Thema: die täglich erstellten und ausgewerteten Zahlen in Diagrammen, die den Einzelnen nicht nur zu einer Zahl minimieren, ihn in großen Zahlen untersuchter Gruppierungen verschwinden lassen – sie machen ihn vor allem ohne sein eigenes Zutun passiv.
Um die zur Verfügung stehenden unüberschaubaren Informationsfelder angehen und für sich nutzen zu können, müssen allerdings nicht nur Künstler vor allem die entgegengesetzte Energie aufbringen: Aktivität, Kreativität, Schnelligkeit, Beweglichkeit, ein gutes Immunsystem...
Es gilt, offensiv zu sein.
In Stefan Stößels Arbeiten macht sich immer wieder der erste Schritt zum Gegenschlag bemerkbar: das genau beobachtende, neutrale Auge, das Terraingrenzen ignoriert und bildhafte Strukturen im pragmatischen Alltag sucht…eine neue Grammatik und Bildlogik baut sich in seinen Bildern auf, und die Differenz, die via Wahrnehmungsgewohnheit entsteht, erzeugt eine Ironie, die mit der fetischhaft sauberen Malweise konkurriert.
Doch die Abrechnung in Stößels Statistiken erfolgt nicht in greifbaren Zahlen. Vom Gesehenen wird eher skulptural weggenommen als dass Wertungen hinzukommen, und die Fragen werden offener: statt Behauptungen aufzustellen werden die formalen Hintergründe der Messungen freigelegt und kommentarlos entfärbt: grau in grau abgestuft beziehen sich die Kuchenstücke nun nicht mehr auf Menschen, Güter, Flächen, sondern auf Farbe, genauer gesagt nicht einmal mehr auf das: eigentlich nur noch auf das Mischungsverhältnis von schwarz und weiß. Über alles weitere wird der Betrachter im Unklaren gelassen. Denn es geht hier schließlich nicht mehr um Wahrheiten, mittels derer Diagramme objektive Erkenntnissicherheit suggerieren wollen. Im Gegenteil: die Instrumente der Erfassung werden nun selbst erfasst, von der Malerei, und stehen plötzlich nur noch in ihrem eigenen Dienst. Das Kriterium objektiver Wahrheit im Dienst von Erkenntnis wird hier einer malerischen Logik unterworfen, und dieser Schritt ist wohl für jeden nachvollziehbar, obwohl es hier nicht mehr um Abbildung geht. Vielmehr wird hier gefragt:
Wodurch wird eigentlich das Verhältnis zwischen Mensch und Zahl, zwischen Mensch und Wirklichkeit bestimmt? Im Ausstellungsraum überwiegt die subjektive Hilflosigkeit, denn der Maler hat die entscheidende Frage selbst schon für sich beantwortet: wieviel muss man noch wegnehmen, damit die eingespielte zerebrale Verknüpfung sich endlich löst? Bis wieder wichtigere Fragen gestellt werden, zum Beispiel die nach der eigenen Sicht auf die Dinge…?
Wie alte Weltzeituhren im Kreisformat hängen die “inhaltslosen” Statistiken nebeneinander, verschieden und für einen Moment stillstehend. Sie könnten als leere Folien für neue Zusammenhänge funktionieren. Vor allem aber relativieren sie als Serie den Sinngehalt einzeln vorgenommener Messungen in Zeiten, Räumen, ausgerichtet immer noch auf den Erfinder aller Konstruktionen. Doch auch dieser, der Gefahr läuft, sich darin zu verlieren, sieht auf die Uhr und denkt sich:
Wie spät ist es eigentlich schon…?
B. Reichmuth

 

   
       


     
       

Stefan Stößel

1970 geboren
1998 Diplom Malerei / Grafik bei Prof. Arno Rink an der HGB Leipzig
Gründungsmitglied des Kunststoff e.V. / Kunstraum B/2, Leipzig (bis 2001)
1999/01 Meisterschüler bei Prof. Astrid Klein an der HGB Leipzig
Stipendien
1996 Arbeitsstipendium der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen
2000 Aufenthaltsstipendium Künstlerhaus Lucas, Ahrenshoop
2000 Aufenthaltsstipendium Columbus / Ohio, USA
Ausstellungen (Auswahl)
1998 Kunstraum B/2, Leipzig
1999 „Inventur“, Laden für Nichts, Leipzig
2000 „Sommerhemd“, Performative Multipleproduktion, Dogenhausgalerie, Leipzig
2001 „500 Punkte“, Kunstverein Leipzig
2002 CAPRI, Berlin
Beteiligungen (Auswahl)
1998 Kunstpreisausstellung der Stadtsparkasse Magdeburg
1999 „Ente gut - alles gut“, B/2, Leipzig
2000 „Grande Confiserie“ in „Concurrent Units“, B/2, Leipzig
„Julia Schmidt“, Galerie Pankow, Berlin
„Bildwechsel - Aktuelle Malerei aus Sachsen und Thüringen“, Zwickau / Gera
2001 „Jeune Creation“, Grande Halle de la Villette, Paris
2002 „Neuer Realismus“, Galerie Rothamel, Erfurt
„That the way it is“, Galerie de la Friche, Marseille